Masterarbeit schreiben (1/2)
Dr. Karl-Heinz Maurer, Germanist und Wissenschaftslektor
Wissenschaftliches Schreiben wird im Studium wenig geübt
Das Schreiben einer Masterarbeit wird häufig zu einem persönlichen Problem für Studierende, insbesondere wenn sie Schwierigkeiten beim Schreiben als Anzeichen für mangelnde Qualifikation empfinden. Das sollten sie aber nicht. Denn im Studium wird kaum jemand auf das Schreiben einer Masterarbeit vorbereitet.
Beim Schreiben müssen wir unsere Gedanken in eine andere, ihnen fremde Form bringen. Oft macht beim Schreiben gerade der Übersetzungsprozess von (oft wissenschaftlich fundierten) Gedankengängen in die Kunstsprache der jeweiligen Disziplin Schwierigkeiten. Kaum aber wird dieser Übersetzungsprozess im Bachelor-Studium behandelt.
Andere kochen auch nur mit Wasser – Das Schreiben der Masterarbeit realistisch betrachten
Aus der stiefmütterlichen Behandlung des Schreibens im Hochschulbetrieb resultiert dann bei vielen Studierenden eine oft unrealistische Einschätzung des Schreibvorgangs, der zu einer Masterarbeit führen soll. Dies ist umso mehr der Fall, als auch das Schreiben der Lehrenden selbst den Studierenden meist nur als fertiges Produkt vorgestellt wird. Viele, die sich mit Ihrer Masterarbeit schwertun, würden sich wundern, wie viele Mängel auch die Texte der Prof(i)s noch haben, bevor sie dann endlich im Druck erscheinen. An das Schreiben der eigenen Masterarbeit wird dann ein überhöhter Anspruch gestellt, der ironischerweise gerade die Anfertigung einer guten und gut geschriebenen Masterarbeit eher verhindert als fördert.
Die folgenden Ratschläge sollen das Schreiben entmystifizieren. Sie sollen Ihnen helfen, die Masterarbeit als Produkt vieler (an Hochschulen oft wenig vermittelter) Arbeitsschritte zu begreifen, und zeigen, dass rohes und anscheinend unzulängliches Schreiben ein unentbehrlicher Bestandteil wissenschaftlichen Arbeitens ist.
2) Den ‚inneren Zensor‘ beim Schreiben ausschalten
Schreiben Sie die Rohfassung eines (Teil-)Kapitels Ihrer Masterarbeit. Die Betonung liegt hier auf „roh“. Der wichtigste Schritt zum eigenen erfolgreichen Schreiben einer Masterarbeit kann für Studierende nämlich sein, den Prozess des Schreibens als einen Arbeitsgang zu begreifen, bei dem zunächst einmal eine Rohmasse zur späteren Bearbeitung geschaffen wird. Schreiben Sie daher viel und im befreienden Gefühl der Vorläufigkeit all Ihrer Tastaturanschläge! Wenn Sie an Ihrer Masterarbeit schreiben, dann schaffen Sie nichts Permanentes, sondern einfach nur Material zur späteren Bearbeitung. Und je mehr – und das kann auch heißen, je gröber – Sie schreiben, desto mehr Rohmasse für die Masterarbeit steht Ihnen später zur Verfügung. Schnelles Schreiben ist dabei wichtig, um den inneren Zensor auszutricksen, der oft einen hemmenden Einfluss auf die Entstehung Ihrer Masterarbeit ausübt. Diesen Zensor brauchen Sie erst zum Zeitpunkt der Überarbeitung der Kapitel Ihrer Masterarbeit. Geraten Sie daher beim Schreiben auch nicht über Sätze ins Grübeln, die nicht so richtig gelingen wollen. Setzen Sie das Schreiben lieber zügig fort, auch wenn Sie gegen Ihre eigenen Formulierungen Bedenken haben. Diese bekommen Sie später noch in den Griff. Bei allem Willen zur Grobheit sollten Sie aber so schreiben, dass wichtige Informationen, z. B. Quellennachweise, für Sie nachvollziehbar bleiben.
3) Kapitel der Masterarbeit in vielen Durchgängen überarbeiten
Überarbeiten Sie die Rohfassung Ihrer Masterarbeit mehrere Male. Wichtig ist, dass Sie auch dabei nicht an einen Überarbeitungsgang überhöhte Ansprüche stellen. Seien Sie sich bewusst, dass Sie einen Text, ein Kapitel oder Teilkapitel Ihrer Masterarbeit viele Male überarbeiten müssen, bis Sie eine gute und (fast) endgültige Version geschrieben haben. Überarbeiten Sie eine Rohfassung nur so lange, bis Sie wirklich keine Lust mehr haben. Machen Sie dann etwas anderes. Sie werden ohnehin noch mehrere Male zu dieser Fassung zurückkehren müssen. Wichtig kann es auch sein, einmal eine oder mehrere Nächte über eine Fassung zu schlafen. Während dieser Zeit können Sie dann schon an einem anderen Teil der Masterarbeit arbeiten.
4) Wohlproportionierte Absätze
Achten Sie beim überarbeitenden Schreiben darauf, wohlproportionierte Absätze zu schaffen. Sind sie abwesend, signalisiert das den Prüfern der Masterarbeit Unstrukturiertheit; gibt es ihrer nur kurze, dann deutet das auf eine oberflächliche Behandlung hin. Ein guter Absatz ist – cum grano salis – 1/4 bis 2/3 einer Seite lang und hat eine Einleitung und einen Schluss.
5) Wissenschaftlicher Stil
In dieser Überarbeitungsphase des Schreibens Ihrer Masterarbeit richten Sie Ihre Formulierungen auch an den stilistischen Anforderungen wissenschaftlichen Schreibens aus: Eliminieren Sie umgangssprachliche Worte und Wendungen, ersetzen Sie bildliche Sprache durch explizite Aussagen und beweisen Sie analytische Distanz zu Ihrem Gegenstand, indem Sie in einer wertneutralen Sprache schreiben und Wörter wie „Ich“ oder „Wir“ nicht benutzen. Und treffen Sie die wichtigsten Aussagen in Hauptsätzen statt in Nebensätzen. Achten Sie beim Schreiben auch darauf, Ihren eigenen Beitrag ins rechte Licht zu rücken, indem zentrale Aussagen Ihrer Masterarbeit auch wirklich in Ihrer „Stimme“ vorgebracht werden, statt aus Zitaten hervorzugehen. Führen Sie auch Ihre Leser/innen dadurch, dass Sie Ihr eigenes Vorgehen explizit darstellen. Erklären Sie den Lesern Ihrer Masterarbeit, worüber Sie jetzt zu welchem Zweck schreiben.
6) Noch ein Fine-Tuning der Masterarbeit
Stimmen Sie noch einmal alle Teile der Arbeit aufeinander ab, wenn Ihre Masterarbeit (fast) ganz fertig ist. Lassen Sie sich viel Zeit zu diesem finalen Überarbeiten Ihrer Masterarbeit, möglichst mehrere Wochen. In dieser Zeit sollten Sie nur noch sehr wenig neues Quellenmaterial in Ihre Masterarbeit einbringen.
Stattdessen sollten Sie jedes Kapitel Ihrer Masterarbeit erneut überarbeiten, um alle sprachlichen Details an der nun finalisierten Zielsetzung und Argumentation der Masterarbeit auszurichten und um dafür zu sorgen, dass sich jedes (Teil-)Kapitel Ihrer Masterarbeit sprachlich in die Gesamtargumentation einordnet. Dabei achten Sie darauf, dass sich Schluss und Einführung der Masterarbeit aneinander anlehnen. Wichtig ist auch, dass beim Schreiben von Kapitelzusammenfassungen die Masterarbeit als Ganzes in Betracht gezogen wird. Aspekte von Kapiteln, die im Schluss oder der Einleitung der Masterarbeit angesprochen werden, sollten an ihrer jeweiligen Stelle in der Masterarbeit auch stilistisch ausreichend hervorgehoben und inhaltlich entsprechend gewichtet sein. Wenn Sie sich nicht sicher sind, ob Ihre Arbeit allen Ansprüchen genügt, fragen Sie unser Lektorenteam.
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