Ein Doktorand, der Familie, Beruf und Dissertation unter einen Hut bekommt.
Marc führte seit Jahren erfolgreich die Filiale einer großen Beratungsgesellschaft. Im Kreis der Mitarbeitenden war er beliebt wegen seiner lockeren und gleichzeitig verbindlichen Art. Seine Kundinnen und Kunden schätzten ihn dafür, dass er sich neben dem Beruflichen auch immer mal wieder Zeit für ein kurzes privates Gespräch und ein freundliches Wort nahm.
Doch in der letzten Zeit stimmte irgendetwas nicht mit ihm. Nach Feierabend, abends zuhause bei seiner Familie, holten ihn immer öfter Zweifel ein: Sollte das beruflich schon alles gewesen sein? Vor ein paar Tagen hatte ihn sein Spiegel mit einem besonders mürrischen und trüben Gesicht begrüßt. Erschrocken hatte er zugeben müssen: Das ist die Fratze der Langeweile! Er fühlte sich unterfordert! Augenblicklich tauchte der frühere Traum einer Doktorarbeit wieder auf und begann an ihm zu nagen. Den hatte er vor fünf Jahren an den Nagel gehängt, als seine Frau Isabell mit seiner Tochter Emma schwanger gewesen war. Promovieren mit familiären Verpflichtungen, das geht natürlich gar nicht, so war er damals überzeugt gewesen. Wie hätte er das organisatorisch hinbekommen sollen?
Am Freitag machte er früher Feierabend. Er gönnte sich den Heimweg durch den herbstlichen Stadtpark, radelte an der Uni vorbei. Fast wie von selbst zog es ihn zu seinem alten Institut. Warum nicht mal gucken, dachte er. Und unvermittelt stand er da, Professor Rat. Bei ihm hatte Marc seinerzeit seine Diplomarbeit geschrieben. Professor Rat erkannte ihn gleich: „Hallo, wie geht’s?“, grüßte er ihn freundlich. „Gut, danke – und … äh, darf ich Sie gleich mal überfallen: Ich möchte gern promovieren und suche ein interessantes Thema“, platzte es aus ihm heraus.
Marc war jetzt komplett aufgedreht. Professor Rat hatte sich sofort Zeit genommen und sie hatten ein langes Gespräch geführt. Zudem war er war sogar mit einer Forschungs-Idee aus dem Gespräch gegangen. Eine Welle der Freude durchfuhr ihn. Und gleichzeitig der Unruhe: Was Isabell wohl dazu sagen würde?
„Was??? Doktorarbeit? Das hatten wir doch durch! Und jetzt doch? Was ist dann mit Emma und mir? Wir haben’s doch so schön! Das ist super egoistisch von dir.“ Isabel lief rot an. Marc blieb die Luft weg, seine Mundwinkel klappten nach unten. „Ist ja schon gut, reg dich nicht auf, ich hab ja noch nicht zugesagt.“
In den folgenden Wochen hatte Marc weder Lust, nach Feierabend mit Emma zu spielen, noch dazu, Gespräche mit Isabell zu führen. Er hing vor der Glotze und ließ sich berieseln. Schließlich hatte er ja auch den ganzen Tag im Job schon so viel gequatscht, redete er sich ein … An einem solchen Abend klingelte das Telefon. „Wie haben Sie sich zum Thema Promovieren entschieden?“ Es war Professor Rat. „Ich bin dran und melde mich in einer Woche mit einem Exposé“, entfuhr es Marc.
„Was war das denn?“ Isabell stand in der Tür. „Du meinst es wirklich ernst mit dem Doktortitel, ja?“ „Papa wird ein Doktor! Papa wird ein Doktor!“, jubelte Emma. Irritiert schauten beide zu ihrer Tochter. „Dann hab ich auch einen Doktor-Papa, wie Jenny!“, strahlte sie. „Ja“, sagte Marc, „ich weiß es jetzt: Ich will auch ein Doktor werden. Doch ihr beide müsst mir dabei helfen, ohne euch schaffe ich das nicht.“ Isabell atmete tief durch und nahm ihn in die Arme. „Wenn du das so sehr willst, werden wir es gemeinsam durchziehen. Es ist ok; wenn dich das aus deinem Loch wieder herausholt, bin ich dabei. Wenn das so weitergegangen wäre mit deiner Apathie, hätten wir in absehbarer Zeit ohnehin ein Problem gehabt.“
Schon am nächsten Tag setzten sie sich zu dritt zusammen. Sie machten einen Wochenplan, in den sie eintrugen, zu welchen Zeiten sie was gemeinsam tun wollten. Sie merkten dabei, dass bestimmte Dinge ihnen besonders „heilig“ waren, wie das Abendessen am Freitag zum entspannten Einläuten des Wochenendes. Emma malte kleine Bildchen zu jeder Rubrik. Auch Aufgaben mit Zuständigkeiten für den Haushalt legten sie für alle drei fest.
Der Weg zum Titel war nicht einfach. Marc nervte anfangs, wenn Isabell auf Konfrontation ging, sobald er kleinste Verabredungen mit der Familie mal nicht einhielt. Es gab häufiger Streit. Mit der Zeit jedoch wurde er gelassener und diskutierte nicht mehr. Denn im Ergebnis merkte er, wie wertvoll das Zusammensein mit der Familie für seine eigene Erholung war und wie es sie als Familie zusammenschweißte. Die Dissertation dauerte ein Jahr länger als geplant. Aber diesen Preis waren alle bereit zu zahlen.