Phasen der Stagnation und des Zweifels überwinden

Dr. Gudrun Thielking-Wagner

Promotion

Eine Doktorarbeit ist ein Langzeitprojekt. Rechnen Sie mit mehreren Jahren, bis Sie sich den Doktorhut auf den Kopf setzen dürfen. In dieser Zeit werden Sie Höhen und sehr wahrscheinlich auch Tiefen erleben. Diese emotionalen „Achterbahn-Erfahrungen“ sind bei der Mehrheit der Doktorandinnen und Doktoranden normal, sie gehören zu einer Promotion dazu.

Was aber können Sie tun, wenn Sie in eine Tief-Phase gerutscht sind? Wenn Sie, schwankend und besorgt, sich fragen, ob Ihre Forschungsarbeit überhaupt relevant oder womöglich einfach nur banal, langweilig und uninteressant ist? Oder wenn Sie feststellen, dass Ihre Laboruntersuchungen nicht die Ergebnisse liefern, die Sie erwartet haben? Oder wenn Sie meinen, dass Sie die Forschungsfrage einfach nicht beantworten können?

Warum Skepsis für eine gute Forschung zielführend ist

Bevor Sie in einer Tief-Phase erwägen, Ihre Promotion abzubrechen, machen Sie sich bewusst, dass Misstrauen und Zweifel Sie bei Ihrer Doktorarbeit voranbringen und nicht etwa behindern werden. Denn Fragen und unvorhergesehene Ergebnisse sind Freunde der Forschung, da sie neue Felder eröffnen, strittige Punkte klären helfen und Sie dabei unterstützen, die Qualität Ihrer Arbeit zu erhöhen. Betont sei: Auch negative Ergebnisse sind Ergebnisse und damit für weitere Überlegungen nutzbar und sogar manchmal notwendig.

Es macht also überhaupt keinen Sinn zu glauben, Sie seien nicht clever, Ihre Forschungsidee nicht interessant genug. Es geht in einer solchen Phase schlicht und einfach um die Anpassung Ihres Forschungsgegenstandes an ein Zwischenergebnis. Wenn Sie an diesem Punkt sind, haben Sie bereits intensiv gearbeitet, Ergebnisse und Erkenntnisse gewonnen, mehrmals mit Ihren Betreuenden gesprochen, die Dissertation vielleicht schon in Kolloquien präsentiert. Sie haben demzufolge schon sehr viel geleistet und sind tief in Ihr Thema eingedrungen. Und nur deshalb können Sie überhaupt Bedenken und Fragen formulieren. So erkannte schon Goethe: Mit dem Wissen wächst der Zweifel [1]. Die notwendigen Änderungen mögen Sie zwar zeitlich etwas zurückwerfen, aber oft sind die Überarbeitungen nicht so grundlegend, wie Sie zunächst befürchten.

TIPP

Konstruktiver Umgang mit Selbstzweifeln

  • Gefühle des Selbstzweifels sind ein deutlicher Hinweis darauf, dass Sie eine Pause benötigen. Nehmen Sie eine Auszeit. Gönnen Sie sich z. B. ein Wochenende an einem Ort, den Sie lieben, an dem Sie entspannen können. Oder lesen Sie ein Buch, das mit Ihrem Thema nichts zu tun hat. Das hilft Ihnen, sich wieder zu erden, und Sie werden danach wieder aufmerksamer, motivierter und schreiblustvoller sein.
     
  • Machen Sie sich Ihre Selbstzweifel bewusst. Schreiben Sie sie auf. Formulieren Sie konkrete Fragen und besprechen Sie diese mit Ihren Betreuenden oder mit anderen Promovierenden. So kommen Sie wieder auf die professionelle Sachebene und werden in der Lage sein, das Sie weiterführende Potenzial des Zweifels zu erkennen, der Sie somit Ihrem Forschungsziel ein Stück näher bringt.
     
  • Erinnern Sie sich an Ihre Motivation, denken Sie daran, warum Sie überhaupt promovieren wollen und einen Doktortitel anstreben. Malen Sie sich dann mit allen Sinnen aus, wie es ist, wenn Sie den Doktortitel verliehen bekommen haben: Wie sehen Sie aus? Was sehen Sie? Welche Geräusche und Gerüche umgeben Sie? Welche Menschen sind bei Ihnen? Was sagen sie, wie verhalten sie sich? Was fühlen Sie? Wo in Ihrem Körper spüren Sie etwa Stolz, Freude oder Erleichterung? Lassen Sie dieses Szenario wie einen Film mehrmals vor Ihrem inneren geistigen Auge ablaufen. Sie können Einzelheiten verändern, erweitern, manche Wahrnehmungen intensivieren. Entwickeln Sie ein starkes Bild, das Ihnen zeigt, weshalb Sie sich die ganze Mühe der Doktorarbeit machen. Begleitet von dem Glaubenssatz: Ich kann, ich will und ich werde meine Promotion erfolgreich abschließen. Eine Vision unterstützt Sie dabei, Entscheidungen zu treffen. Sie stärkt Ihr Vertrauen in sich selbst und gibt Ihnen Kraft.
     
  • Vergegenwärtigen Sie sich, dass Sie nur einen kleinen Forschungsbeitrag leisten können und dass dies auch gut so ist. Denn, wie der britische Philosoph Karl Raimund Popper sagt: Unser Wissen kann nur endlich sein, während unser Nichtwissen notwendigerweise unendlich sein muss [2]. Lassen Sie diesen Gedanken auf sich wirken und spüren Sie die Erleichterung, die er in sich birgt.

Was Sie tun können, wenn Sie sich festgefahren haben

Phasen der Stagnation sind im Forschungsprozess ganz normal. Es gibt immer wieder Zeiten, in denen es nicht spür- oder sichtbar mit Ihrer Dissertation vorangeht. Solche Phasen gehören zum Reifungsprozess Ihrer Gedanken dazu. Die Arbeit stagniert damit nicht wirklich, denn Ihr Kopf bleibt aktiv oder tankt neue Energie. Festgefahren haben Sie sich noch lange nicht, in der Regel wird sich die Flaute in wenigen Tage von allein auflösen.

Die aus Selbstzweifeln entstehende Stagnation hat jedoch eine andere Qualität. In solchen Phasen kann Ihre Motivation auf eine harte Probe gestellt werden: Sie fühlen sich blockiert. Um diese Probe zu bestehen, haben sich die folgenden Maßnahmen bewährt:

  • Nehmen Sie zunächst einmal ganz einfach nur wahr, dass Sie gerade einen Arbeitsstillstand erleben. Geben Sie bewertenden Gedanken willentlich keinen Raum; Ihre aktuelle Lage ist weder gut noch schlecht, sie ist einfach nur da. Auf diese Weise unterstützen Sie sich selbst dabei, der Situation die Schwere zu nehmen. Sie erkennen, dass sich alles kontinuierlich verändert.
     
  • Wechseln Sie zu einem anderen Kapitel Ihrer Dissertation. Schreiben Sie an einem Abschnitt weiter, für den Sie sichere Daten haben, oder halten Sie die Sie verwirrenden oder irritierenden Gedanken für den Diskussionsteil Ihrer Arbeit fest. Es muss nicht sein, dass Sie Ihre Dissertation linear so abarbeiten, wie sie geplant ist, Sie können sie auch in viele kleine Häppchen unterteilen. Sie haben die Gliederung stehen und Dateien angelegt, was verhindert, dass Sie sich verzetteln werden. So können Sie in Ruhe an den Kapiteln arbeiten, für die Sie Daten, Texte oder Quellen haben.

 

Die innere Haltung ist der Schlüssel

Ihr Entschluss zur Dissertation ging idealerweise mit der Begeisterung für Ihr Thema einher, mit dem Sie sich mehrere Jahre beschäftigen wollen. Diese Begeisterung wird sich die Zeit über nicht immer auf dem gleichen hohen Level halten. Es lohnt sich, an der eigenen Haltung zu seiner Dissertation zu arbeiten, um die damit verbundenen emotionalen Achterbahnfahrten entspannt bewältigen zu können. Sie bestimmen und lenken, wie Sie mit weniger produktiven Phasen umgehen, wie Sie sich die Arbeit einteilen und in welchem Tempo Sie arbeiten. Abbrechen ist in den allerwenigsten Fällen durch objektive Faktoren (wie Finanzierungsprobleme) begründet. Trainieren Sie diese Haltung – Sie werden davon profitieren.

 

Weiterlesen: Achtsam promovieren

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