Gütekriterien qualitativer Forschung

Prof. Dr. Günter Mey, Rubina Vock & Paul Sebastian Ruppel

Gütekriterien sind zentraler Bestandteil methodischer Auseinandersetzungen. Im Unterschied zur quantitativen haben sich in der qualitativen Forschung noch keine allgemeingültigen Gütekriterien durchgesetzt, vielmehr liegen verschiedene ausdifferenzierte Vorschläge für die Güteabschätzung des qualitativ-methodischen Vorgehens vor.

1. Etablierung eigener Gütekriterien qualitativer Forschung

Die Anwendung der klassischen Gütekriterien aus der quantitativen Forschung (Objektivität, Reliabilität, Validität) auf qualitative Forschung wird weitgehend zurückgewiesen. Begründet wird dies mit den Besonderheiten des qualitativ-methodischen Vorgehens, den ihnen zugrunde liegenden erkenntnistheoretischen Positionen sowie ethischen als auch forschungspraktischen Aspekten.

Lediglich vereinzelt findet sich die Übertragung klassischer Kriterien. So werden beispielsweise zuweilen Reliabilitätsabschätzungen bei der qualitativen Inhaltsanalyse im Rahmen der Bestimmung von Intercoder-Reliabilität durchgeführt[1]. Daneben existiert die eher selten vorgetragene Position, die einer Anwendung von Gütekriterien auf qualitative Forschung grundsätzlich ablehnend entgegensteht.

Der Hauptfokus der Debatte liegt allerdings auf unterschiedlichen Vorschlägen und Bestrebungen, Kriterien zu entwickeln, die sich genuin auf Herausforderungen der Geltungsbegründung qualitativer Studien beziehen. Gesprochen wird hierbei vom Versuch einer Etablierung „methodenangemessener Gütekriterien“[2].

In diesem Zusammenhang werden auch mit Blick auf die Vielfalt an Erhebungs- und Auswertungsverfahren sowie an disziplinären Schwerpunkten je spezifische Kriterienkataloge diskutiert und einzelne Gütekriterien zudem hinsichtlich der Einsatzgebiete (Grundlagen-, Anwendungs-, Evaluationsforschung etc.) verschieden gewichtet.

 

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2. Zentrale Gütekriterien qualitativer Forschung

Unter der Vielzahl vorgeschlagener Aspekte zur Güteherstellung und -einschätzung erscheinen uns die übergeordneten Gütekriterien Transparenz, Intersubjektivität und Reichweite besonders zentral.

 

2.1 Transparenz

Da qualitative Forschung eine Fülle von Forschungsentscheidungen beinhaltet und Methodenanwendung immer auch Methodenentwicklung meint, ist der gesamte Prozess angemessen zu dokumentieren und darzulegen. Dies reicht von der Forschungsfrage über die Begründung für die gewählten Verfahren und deren Adaption im Rahmen der Studie bis hin zu der konkreten Umsetzung der Forschungsarbeit mit Wahl der Samplingstrategie und der darüber realisierten Zusammensetzung der Studienteilnehmenden bzw. Fälle.

Ebenso nachvollziehbar gemacht werden muss, wie die Daten ausgewertet und interpretiert wurden. Diese Darstellung ist Bestandteil der Arbeit und nicht in Anhänge auszugliedern.

 

2.2 Intersubjektivität

Die Auswertung der qualitativen Daten und die interpretatorischen Schlüsse müssen plausibel aufgezeigt werden. Zudem gilt es, sie mit alternativen Interpretationen (durch den Einbezug verschiedener Lesarten) zu konfrontieren.

Vor diesem Hintergrund wird die Relevanz der (Zusammen-)Arbeit in Gruppen im Rahmen qualitativen Forschens deutlich, insofern es darum geht, eine konsensuelle Validierung oder eine Intersubjektivität herzustellen. Hierzu gehört es, die eigene Forschendenrolle zu reflektieren und den möglichen Niederschlag eigener Subjektivität offenzulegen (gesprochen wird insofern auch von „reflektierter Subjektivität“[3]).

Eine Präsentation und Diskussion der (Zwischen-)Ergebnisse mit den Teilnehmenden kann für Studien angezeigt sein, bei denen eine prinzipielle Zustimmungsfähigkeit seitens der ForschungspartnerInnen angenommen werden kann; gesprochen wird dann von „kommunikativer Validierung“ (neuerdings auch von „member check“)[4].

 

2.3 Reichweite

Aufgrund der verglichen mit standardisierter Forschung geringeren Fallzahlen ist darzulegen, welche Verallgemeinerungen beabsichtigt und möglich sind. Anstelle von statistischen Repräsentativitätskriterien ist die „theoretische Relevanz“ (bzw. die „theoretische Repräsentanz“) abzuschätzen und der Geltungsbereich abzustecken. Erst vor diesem Hintergrund lassen sich Ausführungen zur praktischen Relevanz der Forschungsarbeit angemessen einordnen.

Literatur

Zentrale Veröffentlichung

Steinke, Ines (2010). Gütekriterien qualitativer Forschung. In Uwe Flick, Ernst von Kardorff & Ines Steinke (Hrsg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch (9. Auflage, S. 319–331). Reinbek: Rowohlt.

Übersichtsdarstellungen

Flick, Uwe (2010). Gütekriterien qualitativer Forschung. In Günter Mey & Katja Mruck (Hrsg.), Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie (S. 395–407). Wiesbaden: VS.

Flick, Uwe (2014). Gütekriterien qualitativer Sozialforschung. In Nina Baur & Jörg Blasius (Hrsg.), Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung (S. 411–423). Wiesbaden: Springer VS.

Vertiefende Lektüre

Steinke, Ines (1999). Kriterien qualitativer Forschung. Ansätze zur Bewertung qualitativ-empirischer Sozialforschung. Weinheim: Juventa.

Strübing; Jörg; Hirschauer, Stefan; Ayaß, Ruth; Krähnke, Uwe & Scheffer, Thomas (2018). Gütekriterien qualitativer Sozialforschung. Ein Diskussionsanstoß. Zeitschrift für Soziologie 47(2), 83–100, https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zfsoz-2018-1006/html

 


[1] Mayring, Phillip (1993). Einführung in die qualitative Sozialforschung (2. Auflage). Weinheim: Beltz/PVU.

[2] Flick, Uwe (1987). Methodenangemessene Gütekriterien in der qualitativ-interpretativen Forschung. In Jarg Bergold & Uwe Flick (Hrsg.), Ein-Sichten: Zugänge zur Sicht des Subjekts mittels qualitativer Forschung (S. 247–262). Tübingen: dgvt-Verl,
https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/2586.

[3] Legewie, Heiner (1987). Interpretation und Validierung biographischer Interviews. In Gerd Jüttemann & Hans Thomae (Hrsg.), Biographie und Psychologie (S. 138–150). Berlin: Springer.

[4] Flick, Uwe (2010). Gütekriterien qualitativer Forschung. In Günter Mey & Katja Mruck (Hrsg.), Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie (S. 395–407). Wiesbaden: VS.

 

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