Fachtexte lesen und verstehe

Christian Damm

Fachtexte verstehen

Den passenden Lesestil finden, dann geht es schneller.

Im Studium wird man mit großen Mengen Fachliteratur konfrontiert, die gelesen werden sollen, wollen oder müssen. Alle Texte von vorn bis hinten zu lesen, ist nicht nur zeitlich kaum möglich, sondern teilweise auch gar nicht notwendig.

Um große Mengen ver- bzw. bearbeiten zu können, muss man sich Lesestrategien aneignen, mit deren Hilfe man das eigene Lesen effektiv gestalten kann. Kurz: Man muss noch einmal neu lesen lernen; draufloszulesen und Texte von vorn bis hinten zu bearbeiten, wie wir es im Normalfall in der Grundschule gelernt haben und seit vielen Jahren praktizieren – und mit Blick auf Romane, Zeitschriften etc. hoffentlich auch weiterhin mit Genuss tun –, ist keine gute Strategie, um die Anforderungen an das Lesen in der Hochschule gewinnbringend bewältigen zu können.

Wie lese ich wissenschaftliche Texte richtig?

Ähnlich wie beim Schreiben gibt es auch beim Lesen nicht den einen besten und für alle gültigen Weg. Grundlegend zu beachten sind allerdings folgende zwei Dinge:

  1. Wissenschaftliches Lesen ist immer aktiv: Als Leser müssen Sie ein Ziel verfolgen, eine Vorstellung davon haben, warum Sie den Text lesen, und aktiv auf der Suche sein. Als passiver Konsument, der den Text einfach nur durchliest, werden Sie keinen großen Nutzen davon haben.

    Statt einfach draufloszulesen, sollten Sie für sich die Frage beantworten, welchen Nutzen oder Gewinn (etwas lernen, benötigte Informationen finden, Zusammenhänge verstehen, einen Überblick bekommen usw.) Sie vom Lesen dieses Textes haben könnten. Ohne diesen Mehrwert wird das Lesen anstrengend und wenig gewinnbringend, und die Gefahr, in passives Konsumieren zu verfallen, ist sehr groß.
     
  2. Das Lesen von Fachtexten sollte immer vorbereitet werden. Statt einfach draufloszulesen, sollten Sie sich angewöhnen, den Text, den Sie vor sich haben, zu überfliegen. Oberstes Ziel ist es, einen Eindruck davon zu bekommen, worum es in dem Text grob geht. Nutzen Sie dazu das Inhaltsverzeichnis, die Kapitelüberschriften, Unterüberschriften, die Einleitung und (Zwischen )Zusammenfassungen und, sofern vorhanden, das Vorwort und das Sach- und Stichwortregister.

    Erst wenn Sie einen ersten groben Eindruck bekommen haben, worum es in dem Text geht bzw. was Sie vom Text erwarten können, sollten Sie entscheiden, ob Sie ihn lesen und mit welchem Ziel. Entscheiden Sie sich dafür, den Text intensiver zu lesen, wählen Sie eine für Sie passende Lesestrategie und bearbeiten den Text entsprechend. Entscheiden Sie sich dagegen, legen Sie ihn guten Gewissens beiseite.

Über diese grundlegenden Aspekte hinaus müssen Sie als Leser selbst entscheiden, welche Lesestrategie die richtige ist. Oft ergibt sich das aber schon durch Ihr Ziel.

 

Welche Lesestrategien sollte ich mir aneignen?

In der zahlreichen Ratgeberliteratur stoßen Sie auf viele unterschiedlich benannte Strategien. Hier gilt oft: Je mehr Strategien genannt werden, desto geringer sind die Unterschiede zwischen einzelnen Strategien. Ich empfehle, vier Strategien voneinander zu unterscheiden und sie beim Lesen so zu kombinieren, wie es Ihrem Erkenntnisinteresse und Leseziel nützt.
 

a) Kursorisches bzw. orientierendes Lesen – auch Überfliegen genannt

Beim orientierenden Lesen – auch schlicht Überfliegen genannt – steht im Vordergrund, einen ersten Eindruck zu bekommen, worum es im Text geht. Bevor Sie einen Fachtext lesen, sollten Sie ihn generell erst einmal überfliegen, um einschätzen zu können, was Sie von dem Text erwarten dürfen bzw. welchen Nutzen eine intensivere Lektüre mit sich bringen könnte. Fragen Sie sich: „Was kann ich vom Text erwarten? Welchen Nutzen könnte eine intensivere Lektüre für mich haben?“ Mit diesen Fragen im Hinterkopf schauen Sie sich konzentriert, aber zügig Titel, Untertitel, Inhaltsverzeichnis, Kapitelüberschriften und Unterüberschriften an. Wenn vorhanden, überfliegen Sie die Kurzzusammenfassung oder das Abstract, bei Büchern den Klappentext und das Vorwort.

Lohnend kann ein kurzer Blick in das Fazit und das Stichwortregister sein. Durch all dies bekommen Sie einen ersten Eindruck, worum es im Text geht. Wissen Sie bereits, wonach Sie suchen, d. h., haben Sie ein Recherche- bzw. Leseziel, können sie jetzt bereits begründet entscheiden, ob und wenn ja wie ausführlich Sie sich mit dem Text bzw. einzelnen Abschnitten beschäftigen wollen. Alternativ können Sie das Überfliegen auf den gesamten Text ausweiten. Dazu lassen Sie ihre Augen zügig vom Anfang zum Ende der Seiten gleiten. Lesen Sie nicht Wort für Wort! Es geht um einen Überblick, nicht um ein tiefes Textverständnis. Entscheiden Sie sich dann für ein intensiveres Lesen oder ein bewusstes Nicht-Lesen des Textes.

 

b) Selektives Lesen

Sind nur einzelne Kapitel eines Buches oder einzelne Abschnitte eines Textes für Sie relevant, ist selektives Lesen eine gute Strategie. Das gilt auch für den Fall, dass Sie genau wissen, wonach Sie suchen (z. B. spezifische Informationen, Definitionen o. Ä.). Im ersten Fall lesen Sie nur die relevanten Abschnitte und lassen den Rest unberücksichtigt. Bei der Suche nach spezifischen Informationen lesen Sie zügig über die einzelnen Passagen bis zu den Punkten, an denen Sie das Gesuchte finden. Hier lesen Sie etwas intensiver. Alles andere lassen Sie außen vor.

 

c) Erfassendes Lesen

Für Texte mittlerer Komplexität und Wichtigkeit und Texte, bei denen es darum geht, sich allgemein einen Überblick zu verschaffen (z. B. Texte, die Sie für Lehrveranstaltungssitzungen vorbereiten wollen oder müssen) eignet sich das erfassende Lesen. Hier geht es darum, die wesentlichen Thesen, die Hauptaussagen und inhaltlichen Zusammenhänge zu erfassen. Auch hier beginnen Sie mit dem Überfliegen und dem Entwickeln eines Leseziels. Dies kann sehr spezifisch oder aber auch eher allgemein gehalten sein (z. B. etwas über den Sachverhalt zu lernen, der im Text diskutiert wird, und dazu Stellung nehmen zu können). Meist ergeben sich durch das Überfliegen etwas konkretere Ziele. Dann lesen Sie den Beginn und das Ende von Absätzen, den Mittelteil überfliegen Sie.

Bei gut gemachten Texten stehen die wesentlichen Informationen in den ersten und letzten Sätzen der Absätze. Dazwischen finden Sie Beispiele, Exkurse, ausführliche Begründungen etc. Wenn Sie merken, dass sich Ihnen der Text nicht erschließt, können Sie die Mittelteile immer noch intensiver lesen. Um die Hauptaussagen eines Textes zu erfassen, muss niemand alle Beispiele, Exkurse etc. eines Textes lesen. Während des Lesens markieren Sie wichtige Passagen und machen sich Notizen am Rand. Beim Unterstreichen gilt: keine ganzen Sätze unterstreichen! Tendieren Sie dazu, dies doch zu tun, ist es evtl. ein Hinweis darauf, dass Sie den Inhalt noch nicht ausreichend verstanden haben. Wenn es sich um eine zentrale Aussage oder wichtige Passage handelt, schreiben Sie lieber in eigenen Worten eine kurze Zusammenfassung an den Textrand, als dass Sie den ganzen Satz unterstreichen.

 

d) Intensives/gründliches/komprimierendes Lesen

Das intensive Lesen – oft auch als gründliches oder komprimierendes Lesen bezeichnet – ist die aufwendigste und intensivste Form, wie Sie einen Text lesen können. Es eignet sich als Lesestrategie besonders für Texte hoher Komplexität und Wichtigkeit, z. B. grundlegende Studien zu Ihrem Thema oder Grundlagenwerke zu theoretischen Konzepten, die für Ihre Arbeit oder Ihr Fachgebiet zentral sind. Um zu einem vertieften Verständnis des Textes zu gelangen, die Argumentation des Autors nachzuvollziehen und sich selbst eine erste kritische Meinung zu bilden, bietet es sich an, dass Sie sich beim Lesen folgende Fragen stellen bzw. beantworten:

  • Was ist das Thema?
  • Was ist die Fragestellung / das Erkenntnisinteresse des Autors?
  • Was sind die Thesen des Autors?
  • Was sind zentrale Begriffe und wie werden sie definiert?
  • Schließt der Text an bestehende Diskussionen an? Wenn ja, welche sind das aus Sicht des Autors? Was wird im Text über andere Autoren und deren Perspektiven gesagt?
  • Welche Quellen verwendet der Autor, wie wird dies begründet?
  • Wie geht der Autor methodisch vor? Wie werden die Quellen bearbeitet? Erscheint diese Vorgehensweise logisch? Sind alternative Vorgehensweisen denkbar?
  • Ist die Argumentation klar, logisch und überzeugend oder gibt es Widersprüche?
  • Was sind die Ergebnisse der Arbeit insgesamt / der einzelnen Hauptkapitel?
  • Kann der Autor tatsächlich zeigen, was er behauptet?
  • Wird überzeugend argumentiert?
  • Welche der Fragen wirft der Text nur auf, welche beantwortet er?

Um das intensive Lesen möglichst gewinnbringend zu gestalten, machen Sie sich Notizen und halten mehrmals inne, um zu rekapitulieren. Am Ende größerer Absätze, am Ende eines Kapitels und am Ende des Textes fragen Sie sich: Welche der genannten Fragen kann ich jetzt schon beantworten und wie lauten die Antworten auf die Fragen? Ohne dass Sie Lesen mit Schreiben verbinden und regelmäßig rekapitulieren, wird das intensive Lesen nur wenig Erfolg mit sich bringen, da es einfach zu viele Fragen und Informationen sind, die Sie verarbeiten müssen. Ihre Notizen können Sie später als Grundlage für Exzerpte und Ihre Haus- oder Abschlussarbeit nutzen.

 

Muss ich mich beim Lesen strikt an eine Strategie halten oder kann ich die Strategien auch kombinieren?

Generell gilt: Das Lesen soll Ihnen einen Gewinn bringen. Oft kann es sein, dass Sie bei Büchern nur einzelne Kapitel benötigen, andere wiederum für Ihr Thema nicht relevant sind. Da macht es wenig Sinn, das ganze Buch intensiv zu lesen, sondern es bietet sich an, die einzelnen Abschnitte mit unterschiedlichen Strategien zu lesen. Kurzum: Kombinieren Sie die Strategien so, wie es für Ihr individuelles Anliegen zielführend ist.

 

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